In verkürzter Form kannte ich den Aufsatz schon .... er ist wirklich schön und trifft den Nagel auf den Kopf
so was ähnliches (allerdings geht's da um Fernsehen in den 60er Jahren - und um meine Lieblingswesternserie "Am Fuß der blauen Berge") hab ich in dem nachstehenden Buch auch mal gefunden:
http://www.amazon.de/dp/3898618331?tag= ... &camp=2514
Hier der Auszug:
Pulsschlag auf Kolibri-Frequenz (von Manfred Kriener):
"Opa Pfeiffer konnte schachspielen und Skatspielen und Rommespielen. In seinem kleinen Wohnzimmer flog der Wellensittich Conny, der sich auf unsere Schultern setzte. Auf dem Kachelofen stand ein alter Käfig, in dem der Graupapagei Chaco in regelmäßigen Abständen "trink, trink, Brüderlein trink"pfiff.
Opa Pfeiffer hatte einen Enkel, der in der Schule neben mir saß....mein bester Freund. Opa Pfeiffer hatte zudem ständig Zigarretten herumliegen. Und er hatte einen Fernseher, der ockerfarben in der Ecke döste. Ich besaß keinen Papagei und keinen Wellensittich, dufte nicht rauchen und konnte weder Skat-noch Schachspielen. Aber vor allen weigerten sich die Eltern, einen Fernseher zu kaufen.
So wurde ich gezwungen,mene Tage bei Opa Pfeiffer zu verbringen. Ich lernte Schach-,Skat-und Rommespielen, ließ mir vom Wellensittich ins Ohrläppchen picken, hörte fasziniert den Graupapagei pfeifen und klaute Opa Pfeiffers Zigaretten. Und ich sah fern, das erste Mal in meinem Leben und dann immer wieder.
Aber vor dem Vergnügen stand die Scham, die den Fernsehschirm verdunkelte. Das heimliche Davonstehlen von zuhause, um dann erst mutlos vor dem Nachbarhaus zu stehen und auf die Klingel zu starren. "Pfeiffer''stand dort zu lesen, nackt und schwarz. Und jedes mal hat mich das aufdringliche Klingeln nach dem Druck auf den weißen Knopf erschreckt. Dann vergingen endlose Sekunden mit pochenden Herzen. Der entscheidene Satz war längst präzise zurechtgelegt und innerlich oft genug ausprobiert: "Ich wollte fragen,ob ich zum fernsehgucken kommen darf.''
Ein Nein hat es nie gegeben,aber der Eintritt ins nachbarliche Wohnzimmer war jedes Mal ein Eindringen, eine peinlich empfundene Störung. Dabei war Opa Pfeiffer ein netter Herr. Vermutlich haben ihn die regelmäßigen Besuche des igelhaarigen Jungen in kurzen Lederhosen überhaupt nicht gestört. Aber ich selbst habe den Weg in das fremde Haus immer mit eingezogenen Schultern absolviert und erwartete jeden Augenblick, hochkant hinausgeworfen zu werden. Aus meiner höflichen Frage machte die Hausherrin die knappe Kurzformel, "der Manfred will fernsehgucken."
So wurde mein Kommen trompetenhaft angekündigt. Zum Glück war ich selten allein, der Freund saß meist schon in Kauerstellung. Wir plazierten uns beide auf dem Teppich, der freundlich angebotene Sessel wurde sorgsam gemieden. Je kleiner man sich macht,desto weniger fällt man auf.
Es war uns verboten,das Fernsehgerät zu bedienen. Und wir hielten uns mit sklavischem Gehorsam daran. Niemand hätte es gewagt, den heiligen Kasten auch nur zu berühren.Wir blickten ihn sehnsüchtig an, aber wir mußten warten,bis er unsere Träume ausspuckte, unsere Helden und Lieblinge. Die Wundermaschine -soviel war klar- gehorche nur dem Knopfdruck Opa Pfeiffers. Der allein besaß die Autorität, stakste mit langem gebrechlichen Schritt in die ockerne Ecke oder blieb trotz unserer Blicke sitzen, blieb stundenlang ungerührt einfach sitzen. Opa Pfeiffer entschied über das Programm und damit über Glück und Unglück, über Tränen und Seligkeit, über blutige Verfolgungsjagden mit Indianern und Postkutschen und dem öden Blick aus dem Fenster, wo der abgesägte Ast des Kirschbaums seine rote Wunde zeigte.
Wenn Opa Pfeiffer auf den Knopf drückte, mußten wir warten bis die Röhre voll da war. Dann bildete sich plötzlich ein Punkt in der Mitte des Ocker-kastens, der sich schnell vergrößerte, schwarz auf uns zu explodieren um sich dann in einem Bild zu entladen. Dieser Augenblick war der schönste. Die Erlösung nach langem Warten, die Entschädigung für den ängstlichen Druck auf die viel zu laute Klingel.
Stundenlang, manchmal tagelang, hatten wir uns auf die Sendung gefreut, jetzt war es soweit.
Auf viele Filme konnte ich leicht verzichten. Lassie war langweilig mit dem ewig winselnden Collie, der ständig Hilfe herbeijaulte, weil wieder jemand mit dem Fuß in der Bergspalte steckte. Auch Fury trommelte immer auf die selbe Art und Weise mit den Hufen, um Gefahr im Verzuge zu melden. Und später das nervige Schnarren von Flipper - deswegen auf die Klingel drücken???
Es gab nur einen wirklichen Grund, nur eine große Liebe, für die sich die geduckte Pirsch ins nachbarliche Wohnzimmer immer wieder lohnte: Am Fuß der blauen Berge - ein Fernsehfilm aus dem Wildem Westen. Schon die Erkennungsmelodie erhöhte den Pulsschlag auf Kolibrifrequenz. Wenn dann im Vorspann Slim Shermann seinen Stetson lässig in den Nacken schob, wenn Jess Harpers schwarze Handschuhe in der Sonne glänzten, die Haushälterin Daisy gütig ins Wohnzimmer lächelte, wenn der kleine Andy zum Wasser holen ging und die Kamera über die staubige Koppel schwenke, dann wartete ein neues großes Abenteuer auf uns. Dann ritten wir aus Opa Pfeiffers schlecht gelüfteten Wohnzimmer im vollem Galopp nach Laramie, der Urstadt des Wilden Westens.
Dort lag die Shermann-Ranch,die Bastion des Guten und Schönen. Dort lauerten aber auch Viehdiebe und Revoverhelden, Postkutschenräuber und Frauenschänder. Dort tauchten unrasierte Mexikaner auf, deren umgehängte Patronengürtel bedrohlich die Brust kreuzten. Dort trieben die drei Catlin-Brüder ihr Unwesen, dort wurde geritten, geschossen, gekämpft und gestorben. Dort stritten Slim und Jess für die gerechte Sache. Und sie wichen keinen Zoll von ihrem Weg ab.
Jess war uns lieber als Slim, er war geheimnisvoller, jünger und schöner, ein dunkler rassiger Typ.
In ,,Bravo" hatten wir gelesen, daß Jess-Darsteller Robert Fuller auch im richtigen Leben ein echter Cowboy war, der lange als Stuntman gearbeitet hatte und auch gefährliche Szenen ohne Double drehte. An Deutschland mochte Fuller vor allen seine Bratwürste. Wir mochten vor allem Jess´Schlägereien. Niemand setzte seine Schwinger so dynamisch an das Kinn der Schurken und sah mit seinem gemeißelten Gesicht so unverschämt gut aus. Natürlich machte er auch mit schnellen Händen von seinem Schießeisen Gebrauch,wenn die Parole hieß "Zieh Fremder!".
Jess Harper war unser Gott.
Wir haben die Sendungen nicht nachgespielt,aber wir haben unsere Pistolen mit der Zündplättchen-Munition genauso schnell gezogen, unsere Plastik-Winchester mit derselben Sicherheit auf eine Gang Schwarzwälder Pferdediebe angelegt. Und spät abends, wenn die Sonne blutrot am Horizont stand,drehten wir uns zwar nicht im Sattel aber im Bett auf die andere Seite, nahmen einen Schluck aus der Wasserflasche und tätschelten noch die braune Stute, bevor uns das Dunkel der Nacht umfing."
Für alle, die schon mein Methusalem-Alter erreicht haben und auch ab und zu gerne in Nostalgie schwelgen, ist das Buch ein sehr schöner Lesestoff. Es gibt Artikel über Bonanza, Kommissar Keller, über Hanns Dieter Hüsch (Stimmvater der Klamotte), über "Helden aus Holz" (Die Augsburger Puppenkiste), über Raumschiff Orion, Mit Schirm, Charme und Melone, Luis Trenker, das Sandmännchen ..... a.s.o. für mich ein absolutes MUST-HAVE.