Habe gerade mal bissel nachgelesen und find's interessant genug um hier sozusagen die Versammlung zu belästigen,
Und dann kommt eine der beeindruckendsten und interessantesten Szenen in Mays Gesamtwerk,
"Er hob die Hände, faßte hüben und drüben meinen Kopf, hielt ihn fest und - - - spie mir ein-, zwei-, dreimal in das Gesicht."
Und des Erzählers Reaktion inmitten all der erwartungsgemäß einsetzenden allgemeinen Aufgeregtheit ? Die sieht so aus:
"Daß keiner den Blinden anrührt! Diese Beleidigung geht nur mich an, keinen andern Menschen!" DAS ist Größe.
Und der Münedschi hat das Wort, Hanneh "wischte mir den Geifer aus dem Gesichte und liebkoste mir dann, ohne dabei zu sprechen, mit ihrer Hand die nach Ansicht ihres Mannes so fürchterlich gekränkten Wangen. Während sie das that, sprach der Münedschi:"
"Das, das wollte ich dir sagen, ja, sagen, denn das Anspeien ist ja die deutlichste der Sprachen! Du bist der elendeste, der armseligste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist! Mit Worten der Liebe hast du dich in mein Herz gestohlen, während in dem deinigen nur der Haß regiert! Du gabst dir den Anschein der Seelenreinheit, der Gedankenhöhe und wälzest dich doch in dem tiefsten, niedrigsten Schmutze des Verbrechens! Du hast das Kleid der Güte, der Barmherzigkeit um dich geschlagen und hetzest doch die Menschen wie Hunde, die sich zerreißen sollen, auf einander. Du heuchelst Wahrheit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Treue und bist doch voller Falschheit, Lug und Trug! Ja, deine Gelehrsamkeit ist groß, wohl größer als das Wissen, welches ich mir mühsam erworben habe, aber du hast sie in den Pfuhl der sittlichen Verdorbenheit geworfen, aus dem heraus sie nur verderbend anstatt Segen bringend wirken kann! Du giebst vor, himmelan zu streben und stehst doch nicht nur auf dem Weg zur Hölle, sondern bist schon jetzt und selbst ein Abgrund schlimmster Teufelei! Du thust, als liege dir der Menschen Seligkeit am Herzen und bist doch ein Verführer zum Verbrechen und trägst die Schuld an all der Schlechtigkeit, die hier geschehen ist! Ihr sprecht von einem Kanz el A'da, der eine unverschämte Lüge ist, du aber hast einen Raub an mir begangen, hast meine Seele betrogen und bestohlen und mir einen innern Verlust zugefügt, für den es keinen Ersatz giebt! Das mußte ich dir sagen; nur darum ließ ich mich jetzt zu dir führen, um dich des Seelenraubes, ja, des Seelenmordes anzuklagen und dir in das Gesicht zu speien, damit du erfährst, wie der von dir denkt, dem du das Herz nur öffnetest, um es noch ärmer und elender zu machen, als es vorher war! Das erblindete Auge meines Körpers ist trocken, aber mein inneres Auge weint. Ich gebe dich der Strafe Allahs heim und fordere von ihm, für dich nicht Gnade, nicht Barmherzigkeit zu haben, sondern nur den Untergang, das ewige Verderben!"
Und immer noch keine Reaktion, "Das waren ja wahre Keulenschläge", wenn man so will, "die mich aber nicht treffen konnten, und also in die Luft geführt." Glaub' ich nicht ... Denken wir, z.B., an Marie Hannes.
Keine Reaktion, weder in Wort noch Tat, auf die Attacke des Münedschi.
Und dann ist er wieder 'mit sich allein',
"Wollte doch jedermann die Augen stets immer zu der Beobachtung offenhalten, daß das Gute die Belohnung und das Böse die Bestrafung ohne alles Zuthun des Menschen schon in sich trägt!"
"Aber als ich erst einmal mit Ernst angefangen hatte, da wuchs mein Interesse für diese meine innere Welt von Tag zu Tag, und es thaten sich mir Ausblicke auf, die mich zum Weiterforschen förmlich begeisterten. Es begann zunächst eine große, leider so unendlich schwierige Reinigung, daß ich gar wohl einsehe, mit ihr in diesem kurzen Erdenleben nicht fertig werden zu können; aber es wurde doch wenigstens soviel Erdenschmutz überwunden, daß mir jetzt, wo ich fast sechzig Jahre zähle, das Weiterlernen und Weiterüben als die schönste Aufgabe der mir noch beschiedenen, abendroten Tage erscheint."
BEWUSSTWERDUNG, das ist das große Thema dieses Buches (und dieses Lebens). Darum geht es.
"Könntest du, meine Freundin oder mein Freund, deine Seele in die Hand nehmen und beobachten wie eine Uhr, welch ein wunderbares, wohlgeordnetes Ineinandergreifen sämtlicher Regungen würdest du da bemerken! Du würdest sehen, wie reingehalten sie werden muß, wieviel hinderlicher Erdenstaub stets zu entfernen ist."