Literarische Exkursionen ......

Buchbesprechungen und mehr über Karl May und Sekundärliteratur
Annie O'Toole

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Annie O'Toole » Do 14. Jul 2011, 20:02

Simpl hat geschrieben:'Now we are talking', will sagen, auch in Internetforen kann es richtig interessant werden, nicht oft zwar, aber "Heut' hast du's erlebt" ...

:smilew:

Da wir ja hier bei literarischen Exkursionen sind, ich habe mal die letzten Tagebücher von Sandor Marai gelesen und daraus eigenartigerweise Kraft geschöpft, eigenartig deshalb, weil es dort darum geht, daß er seine Frau beim dementen Wegdämmern erlebt und begleitet.......
..... mir hat damals die Ärztin der Palliativstation des behandelnden Krankenhauses durch Gespräche und Lesestoff sehr geholfen ..... ich hab mir daraus dann selbst etwas zusammengeschrieben, das mir sehr viel Kraft zum Loslassen und Trauern gegeben hat ..... wem es jetzt zu viel wird - einfach überlesen:

"Jeder Mensch nähert sich seinem Tod auf seine ihm ganz eigene Art und Weise und drückt so in seinem Sterben seine Einmaligkeit aus. Der Tod ist so einzigartig, wie jeder Mensch einzigartig ist. Für manche ist es sehr schwer, sich von ihrem Körper zu lösen… sie brauchen vielleicht Monate… für andere mag es leichter sein. Es ist wichtig, dass wir dem sterbenden Menschen die Zeit lassen, die er braucht, um seinen Weg des Sterbens zu gehen. Das mag manchmal schmerzlich und schwer für uns sein, wenn wir meinen, der Sterbende könne doch einen leichteren Weg gehen, er müsse doch nur „loslassen“. Wir müssen immer wieder bereit sein, die Art und Weise, die der Sterbende für sich wählt, als die für ihn richtige Art anzunehmen und innerlich bereitwillig mitzugehen, auch wenn sie unseren eigenen Vorstellungen widerspricht.
Es ist SEIN Sterben. Und wir wissen nicht, wie wir selbst diesen Weg gehen werden.
Der sterbende Mensch zieht sich mehr und mehr von der Außenwelt zurück …. Er hat kein Interesse mehr an der Zeitung oder dem Fernsehen oder auch an Menschen…..er möchte nur noch wenige, ihm sehr vertraute Menschen um sich haben…. Manchmal auch ganz allein sein.
Es ist eine Zeit, in der er sich von allem, was außen geschieht, zurückzieht und sich nach innen wendet. Er hält Rückblick auf sein Leben …. zieht gleichsam Bilanz. Es scheint so, als ob er nur schläft, aber häufig verarbeitet er in dieser Zeit viel…… für uns ist es unerkennbar.
Mit der Hinwendung nach innen hat der Sterbende weniger das Bedürfnis zu sprechen. Worte verlieren ihre Wichtigkeit. Still sein wird wichtiger. Zeitlosigkeit entsteht.
Wenn wir uns als Begleiter auf das schweigende Zusammensein einlassen können, so können wir die heilende Kraft der Stille erfahren – auch wir werden aus der Zeit unseres Alltags herausgehoben, dürfen teilhaben an einer Art Zeitlosigkeit, in der wir einen Hauch Ewigkeit erfahren.
Wenn wir jemanden in der Zeit des Sterbens begleiten, kommen wir oft an unsere Grenzen der Belastbarkeit. Auch wenn man spürt, dass man mehr Kraft hat, als man sich jemals vorgestellt hat, so plagen einen doch die Gedanken wie es weitergehen wird, die Ungewissheit, ob die eigene Kraft reicht und die Angst vor dem Moment des Todes.
Außerdem wühlt das Sterben ja auch in uns vielfältige Gefühle der Trauer, der Angst, der Zweifel, der Wut und der Ohnmacht auf. Der Boden, der uns sonst getragen hat, gerät beträchtlich ins Wanken ….wir leben in einer ganz anderen Welt."

So ist das! Ich möchte diese Erfahrung - so traurig sie für mich war - nicht missen.

Simpl

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Simpl » Do 14. Jul 2011, 19:19

'Now we are talking', will sagen, auch in Internetforen kann es richtig interessant werden, nicht oft zwar, aber "Heut' hast du's erlebt" ...

:smilew:

Da wir ja hier bei literarischen Exkursionen sind, ich habe mal die letzten Tagebücher von Sandor Marai gelesen und daraus eigenartigerweise Kraft geschöpft, eigenartig deshalb, weil es dort darum geht, daß er seine Frau beim dementen Wegdämmern erlebt und begleitet, selber zunehmend sozusagen kaum noch Piep sagen kann, an nichts mehr glaubt, von Literatur, Kunst usw. auch nicht mehr allzuviel wissen mag, und sich am Ende (89jährig) erschießt ... da vermittelte sich Kraft, das alles durchzustehen und aushalten zu können ... wie sagte Helmut Kohl des öfteren und in Erinnerung bleibend zu seinem Sohn (laut dessen Buch): Du musst stehen. So ist das.

Annie O'Toole

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Annie O'Toole » Do 14. Jul 2011, 19:06

Simpl hat geschrieben:
keine extremen Höhen - keine extremen Tiefen ....
Die kriegen / haben sie auch ... wenn plötzlich einer stirbt (...) das ist bei weniger Bewußtheit vielleicht unangenehmer als mit .../quote]

.....ja, da hast Du wahrscheinlich Recht. Musste schon vier Männer begraben, die ich geliebt habe. Von dreien konnte ich mich nicht verabschieden (Motorradunfall, Herzinfarkt, Selbstmord), aber bei meinem langjährigen Lebensgefährten (25 Jahre) wurde mir die Gnade zuteil, ihn auf seinem letzten Weg begleiten zu dürfen .... das war erst vor zweieinhalb Jahren .... und ich war dem Universum (Allah, Manitou, Gott) nie näher als da ......

Simpl

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Simpl » Do 14. Jul 2011, 17:37

wenn ich mal so weit bin, mir meine eigenen Fehler zu verzeihen, kann ich vielleicht auch etwas entspannter mit meiner Mama umgehen.
So wird das sein bzw. das mag dann so sein. Zumindest erstmal im Kopf. Das Umsetzen wäre dann der nächste Schritt.

:smilew:
manchmal weiß ich nicht, ob die nicht zufriedener durchs Leben gehen
Das tun sie teilweise ... aber es gleicht sich alles aus ...
keine extremen Höhen - keine extremen Tiefen ....
Die kriegen / haben sie auch ... wenn plötzlich einer stirbt oder der Partner davonläuft oder der Job weg ist oder was weiß ich ... das ist bei weniger Bewußtheit vielleicht unangenehmer als mit ...

:wcool: (dieser Coolsmiley, dames en heren, lächelt nicht. Zumindest nicht so stark wie in dieser Wiedergabe) :wcool: (bei diesem jetzt paßt's)

Annie O'Toole

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Annie O'Toole » Do 14. Jul 2011, 17:23

Simpl hat geschrieben:Interessant ist die differenzierte Menschlichkeit dieses Krebs bzw. Hemingways … ein oberflächlicher Betrachter mag sagen bzw. seine Wahrnehmung beschränken auf 'Das ist aber nicht schön, niemend mögen, gar die eigene Mutter nicht' … Mir ist die Menschlichkeit dieser Haltung: Mitgefühl für jemand empfinden, den man nicht mag, und ihn bzw. sie daher [zukünftig] entsprechend schonen zu wollen, deutlich lieber als es mir eine aufgesetzte und vielleicht nur dahergeplapperte 'Aber sicher doch mag ich dich liebe Mammi' – Haltung wäre …

..... kann diesen Krebs sehr gut verstehen, mir geht's mit meiner Mutter ähnlich, wobei mir schon bewußt ist, dass ich vieles an ihr nicht mag, was in mir selbst ist (daher auch mein fehlendes Selbstwertgefühl) .... wenn ich mal so weit bin, mir meine eigenen Fehler zu verzeihen, kann ich vielleicht auch etwas entspannter mit meiner Mama umgehen.

Aber die meisten Menschen wollen so genau halt gar nicht hingucken, sie haben lieber freundliche Floskeln, sülzen sich gegenseitig entsprechend alle was vor und spüren dabei vielleicht gelegentlich, daß halt manchmal etwas nicht stimmt …

.... viele spüren auch nix .... oder wollen nix spüren - und manchmal weiß ich nicht, ob die nicht zufriedener durchs Leben gehen (keine extremen Höhen - keine extremen Tiefen .... schön plätschern lassen) ..... aber ich brauch meine Höhenflüge und meine Abstürze .... auch wenn's manchmal sakrisch wehtut

Simpl

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Simpl » Do 14. Jul 2011, 16:49

Interessant ist die differenzierte Menschlichkeit dieses Krebs bzw. Hemingways … ein oberflächlicher Betrachter mag sagen bzw. seine Wahrnehmung beschränken auf 'Das ist aber nicht schön, niemend mögen, gar die eigene Mutter nicht' … Mir ist die Menschlichkeit dieser Haltung: Mitgefühl für jemand empfinden, den man nicht mag, und ihn bzw. sie daher [zukünftig] entsprechend schonen zu wollen, deutlich lieber als es mir eine aufgesetzte und vielleicht nur dahergeplapperte 'Aber sicher doch mag ich dich liebe Mammi' – Haltung wäre … Aber die meisten Menschen wollen so genau halt gar nicht hingucken, sie haben lieber freundliche Floskeln, sülzen sich gegenseitig entsprechend alle was vor und spüren dabei vielleicht gelegentlich, daß halt manchmal etwas nicht stimmt …

Annie O'Toole

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Annie O'Toole » Do 14. Jul 2011, 13:55

Simpl hat geschrieben:
„Hast du deine Mutter nicht mehr lieb, mein Junge ?“
„Nein“, sagte Krebs.
Seine Mutter sah ihn über den Tisch hinweg an. Ihre Augen glänzten. Sie begann zu weinen.
„Ich hab niemanden lieb“, sagte Krebs.
Es hatte keinen Sinn. Er konnte es ihr nicht erklären; er konnte es ihr nicht klarmachen. Es war dumm, daß er es gesagt hatte. Es hatte ihr nur weh getan.
Eine meiner Lieblingsstellen ... da ist allerhand drin in diesen wenigen Zeilen ... Schonungsloses Hingucken (insbesondere auch in sich selber hinein ...), Kälte, Verachtung, und dann Mitgefühl, und die Erkenntnis, was soll man den / die anderen belästigen mit Dingen, die man besser mit sich selber ausmacht ... stark ...
.....sehr schön .... jawohl - und wenn ich Bücher schreiben könnte, stände da auch so was ähnliches...

Annie O'Toole

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Annie O'Toole » Do 14. Jul 2011, 13:48

Simpl hat geschrieben:Der Artikel ist ganz gut, insofern daß er darauf hinweist daß Hemingway oft mißverstanden wird, fehlgesehen als abenteuerndes Rauhbein u.ä., es steckte ja in der Tat hohe Sensibilität, Melancholie usw. hinter dieser simplen Maske.
Unter diesem Gesichtspunkt fand ich den Artikel auch sehr gut

Zwei Stellen gefallen mir nicht so, diese
Geschichten, die doch immer nur vom Leben einer einzigen Person erzählen – von Ernest Miller Hemingway.
Na vielleicht daß er die anderen kennt weil er sich kennt und halt alles in sich hat, so meinetwegen, aber er konnte sich bestens in andere (auch Frauen z.B.) hineinversetzen und kreiste keineswegs nur um sich selbst ... In einigen der Kurzgeschichten z.B. wird das sehr deutlich, diese hohe Einfühlsamkeit auch in Frauen.

...das eine schließt das andere ja nicht unbedingt aus - Hesse kreiste ja auch nicht nur um sich selbst, aber die meisten seiner Werke erzählten eben doch "seine Geschichten"
Und diese Stelle
Dass ihn, Hemingway, dieses kleine, arme, einfach schöne Glück aber nicht hatte am Über-Leben halten können, versteht man heute immer noch nicht.
hätte er tunlichst auch weglassen sollen ... er versteht's vielleicht nicht ...
.... da geb ich Dir 100prozent Recht..... warum er das geschrieben hat, erschließt sich wohl auch nur ihm selbst - es steht m.M. nach im Widerspruch zu o.g. "damit endet ein Leben, das sich so abenteuerlich konsequent zwischen Höhenflug und Absturz bewegt hatte....." (passt irgendwie nicht zum kleinen, armen, einfachen....Glück)

Simpl

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Simpl » Do 14. Jul 2011, 12:51

„Hast du deine Mutter nicht mehr lieb, mein Junge ?“
„Nein“, sagte Krebs.
Seine Mutter sah ihn über den Tisch hinweg an. Ihre Augen glänzten. Sie begann zu weinen.
„Ich hab niemanden lieb“, sagte Krebs.
Es hatte keinen Sinn. Er konnte es ihr nicht erklären; er konnte es ihr nicht klarmachen. Es war dumm, daß er es gesagt hatte. Es hatte ihr nur weh getan.
Eine meiner Lieblingsstellen ... da ist allerhand drin in diesen wenigen Zeilen ... Schonungsloses Hingucken (insbesondere auch in sich selber hinein ...), Kälte, Verachtung, und dann Mitgefühl, und die Erkenntnis, was soll man den / die anderen belästigen mit Dingen, die man besser mit sich selber ausmacht ... stark ...

Simpl

Re: Literarische Exkursionen ......

Beitrag von Simpl » Do 14. Jul 2011, 12:42

Der Artikel ist ganz gut, insofern daß er darauf hinweist daß Hemingway oft mißverstanden wird, fehlgesehen als abenteuerndes Rauhbein u.ä., es steckte ja in der Tat hohe Sensibilität, Melancholie usw. hinter dieser simplen Maske.

Zwei Stellen gefallen mir nicht so, diese
Geschichten, die doch immer nur vom Leben einer einzigen Person erzählen – von Ernest Miller Hemingway.
Na vielleicht daß er die anderen kennt weil er sich kennt und halt alles in sich hat, so meinetwegen, aber er konnte sich bestens in andere (auch Frauen z.B.) hineinversetzen und kreiste keineswegs nur um sich selbst ... In einigen der Kurzgeschichten z.B. wird das sehr deutlich, diese hohe Einfühlsamkeit auch in Frauen.

Und diese Stelle
Dass ihn, Hemingway, dieses kleine, arme, einfach schöne Glück aber nicht hatte am Über-Leben halten können, versteht man heute immer noch nicht.
hätte er tunlichst auch weglassen sollen ... er versteht's vielleicht nicht ...

Gesperrt