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Auf der See gefangen

Criminalroman von Karl May
Veröffentlicht in
Frohe Stunden (1877/78)

 

Ich beginne jetzt mit dem nächsten Schritt auf meiner Wanderung durch die Kolportage. Als nächstes kommt jetzt Auf der See gefangen; auch unter den Titeln Auf hoher See gefangen und Schloß Wildauen (nach-)veröffentlicht. May selbst hat den Roman dann (gekürzt) in Old Surehand II eingebaut. Später wurde dann daraus die Titelgeschichte Kapitän Kaiman. Der Roman wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als "neuentdeckter" May unter dem Titel Winnetou und der Detektiv veröffentlicht und liegt jetzt auch in den Gesammelten Werken unter seinem alten Titel vor.

 

Geschrieben hat ihn May vermutlich in den Jahren 1877/78, veröffentlicht wurde er erstmalig in der Zeitschrift Frohe Stunden des Dresdner Verlegers Bruno Radelli. In diesen Jahren war May in diesem Verlag als Redakteur angestellt. Offenbar (es war nach seiner Redakteursstelle bei Münchmeyer) musste er wohl einsehen, dass er damals als freier Schriftsteller (noch) nicht genug verdiente, um sich (und Emma Pollmer, mit der er damals zusammenlebte) durchzubringen.

 

In diese Zeit fiel auch die sog. Stollberg-Affaire, vermutlich die einzige seiner "Straftaten", über die er nie öffentlich "Rechenschaft" ablegte (nur in seiner Pollmer-Studie gibt es dazu leichte Andeutungen). Möglicherweise auch aus diesem Grund hat May auch diese (Radelli-)Zeit in (all) seinen biographischen Schriften ausgespart.

 

In dieser Zeitschrift wurden u.a. außerdem noch folgende Werke Mays abgedruckt:

 

Ein Teil dieser Geschichten wurde dann später (teilw. mit anderen Titeln) in dem Weichert'schen Karawanenwürger veröffentlicht.

 

Ich werde den KMG-Reprint Frohe Stunden lesen, und daher wohl alle oben erwähnten Geschichten in der Reihenfolge des Erscheinens.

 

Nach den ersten (doch schon) 50 bis 60 Seiten erstmals einige Eindrücke in lockerer Reihung.

 

Es treten auf:

 

Bei dieser Art der May'schen "Frauengestalten" fallen mir immer wieder die Stellen in der Pollmer-Studie ein, wo May sich über gewisse sexuelle Wünsche von Emma bitter beklagt.

 

Mittlerweile (3. Kapitel: Der Schwur des Trackers) bin ich im Wilden Westen angekommen. Und da tauchen wieder - auch später noch - Bekannte auf. Erstmal Pitt Holbers und Dik Hammerdull, die es ja erstaunlicherweise auf dem Weg über den "alte Geschichtenband" Surehand II (und dort eben über die "Verwertung" von Auf der See gefangen) in die Reiseerzählung Surehand III geschafft haben; übrigens zusammen mit Treskow, der aber dort sehr blass geworden ist. Dik Hammerdull fehlt im Surehand übrigens bei Fehsenfeld auch noch das "c" im Vornamen, das hat er wohl erst später bekommen.

 

Der Beschreibung Hammerdulls im Surehand II hat May folgendes hinzugefügt (Zitat)
"Als der Erzähler diese Beschreibung von Dik Hammerdull brachte, mußte ich an meinen alten Gefährten Sam Hawkens denken, dessen Äußeres beinahe ganz dasselbe war, nur daß er einen Vollbart hatte. Später hörte ich, daß Hammerdull ein guter Bekannter von ihm war und sich aus reiner Freundschaft ebenso wie er kleidete."
und strich dann allerdings aus der Beschreibung die Perücke über den skalpierten Schädel. Das war ihm dann wohl doch zuviel der Ähnlichkeit.

 

Erstaunlicherweise (?) hat er Hammerdull in Auf der See gefangen nicht in Sam Hawkens "verwandelt" oder als Zwilling von ihm neu geschaffen, obwohl ja Hawkens bereits zweimal (im Firehand und im Oelprinz) in Erscheinung getreten war.

 

Und dann betritt die Bühne (des W.W.) Winnetou himself; aber noch ein ziemlich anderer Winnetou.

 

Über die Wandlung der Gestalt Winnetou will ich jetzt erstmal nur auf Kandolffs "der werdende Winnetou" (z.B. im Reprint Surehand III, oder unbearbeitet und ungekürzt im Studienband Winnetou; nebenbei finde ich es immer wieder "lustig", dass auch F. Kandolff das Schicksal des Schriftstellers, der bearbeitet und gekürzt wurde, traf), sowie auf Karl Mays Winnetou - die Entwicklung einer literarischen Gestalt von E. Bartsch in GW 80 Auf der See gefangen hinweisen.

 

Und noch ein Zitat:
"... Wird eine jener Lady's sein, die sich auf Emancipission legen, oder wie das Ding heißt, als bis es zu spät ist..."

 

oder
"Pitt Holbers beginnt hobblefränkisch zu reden."

 

Der jetzt folgende Zugüberfall (wieder mal einer) ist teilweise wörtlich aus Old Firehand übernommen, nur z.B. der Name des Hauptschurken ist von "Parranoh" in "Ricarroh" abgewandelt. Außerdem ist dann auch noch die Geschichte Latour und Consorten überlagert.

 

Mich wundert das allerdings nicht sehr (das "Abschreiben"), denn zu der Zeit musste May ja schon für zwei Geld ranschaffen (Emma wohnte schon bei ihm, noch unverheiratet), und dann musste er ja hauptsächlich Frohe Stunden redigieren.

 

Nebenbei hat er dann auch noch in anderen Zeitschriften veröffentlicht; für die Geschichten in der von ihm selbst betreuten Zeitung hat er dann, um die Menge der eigenen Beiträge zu vertuschen, zusätzlich unter dem Namen von Emma veröffentlicht. Da blieb ihm eben kaum was anderes übrig, als die Geschichten "doppelt zu Geld zu machen".
Wer wollte ihm das auch verdenken, außer vielleicht den Verlegern (die sich da und im Weiteren später an May die eine oder andere goldene Nase verdienten).

 

Nachdem ich schon vor längerer Zeit durch bin, und jetzt endlich mal ein bißchen Zeit gefunden habe, hier meine Rezension:

 

Zitat:
"Hier sind mehrere Gattungen (späterer) Mayscher Text vereint."

 

Da ist einmal der "Criminalroman", als solcher eigentlich nichts besonderes und nichts überraschendes, man weiß ja von Anfang an, was passiert und auch warum.
Als Humoreske, schon besser, noch übertroffen von den späteren entsprechenden Teilen der Kolportageromane und (teilweise) den Dessauer-Geschichten.
Ebenso als "Piratenroman", noch besser, leitet der schon über in (die entsprechenden Abschnitte von) Scepter und Hammer / Juweleninsel und Waldröschen.
Und dann kommt da noch der im wilden Westen spielende Teil der Geschichte. Der allerdings stammt zum größten Teil aus Old Firehand, ob abgeschrieben und leicht variiert, oder als Variation zu gleichen Themen, will und vermag ich nicht zu beurteilen.

 

Die Figuren allerdings, da ist, wie ich finde, Merkwürdiges passiert. May "erschafft" einen "zweiten"(?) Firehand, nennt in Sam Firegun (was ja als Pseudonym nicht sehr weit geht), einen "zweiten" Sam Hawkens, nennt ihn Dik Hammerdull (schon völlig anders), Winnetou allerdings darf seinen Namen behalten, und ist auch ganz derselbe wie im Firehand, noch so völlig anders als der spätere "edle Wilde".

 

Also alles in allem ein ganz schönes Durcheinander, woraus man sehen kann, dass da mit "Logik" nicht viel zu machen ist bei den May'schen Figuren.

 

Dass dann (viel) später drei dieser (sonst nicht mehr vorkommender) Figuren (bzw. deren Namen) den Weg über Surehand II ins "Hauptwerk" gefunden haben, ist ein weiteres Phänomen. Allerdings sind nur die Äußerlichkeiten der Figuren (Hammerdull, Holbers und Treskow(!) ) dorthin gelangt; "bezahlen" mussten sie dies durch einen Wandel der Eigenschaften.

 

Alles in allem für mich ein zwiespältiges Werk, dessen Gesamtbeurteilung mir schwer fällt.

 

(Eingestellt: 10.09.2013. Der nächste Teil folgt am 10.10.2013.)

 


 

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